MATTHIAS DRESSLER

Rede zur Vernissage der Ausstellung am 03.02.2023 im Büro cappellerarchitekten in Halle (Saale)

THOMAS GRUBERT: VERGESSENE STÄDTE

EINFÜHRUNG

Mitten in Halle steht vis-a-vis des von Lyonel Feininger einst expressiv gemalten Domes ein hochaufragendes Fachwerkhaus mit ganz anderer Geschichte, wie der unter Hallensern noch verbreitete Name „Betten-Paris“ verrät. Das im 19. Jahrhundert als Lagerhaus errichtete Gebäude beherbergt nach umfassender Sanierung heute im Erdgeschoss das Architekturbüro cappellerarchitekten. Deren Inhaberin, Architektin BDA Claudia Cappeller, feiert mit ihrem Team und mit uns heute den Architekturpreis des Landes Sachsen-Anhalt 2022 für den Umbau der Mensa der Kunsthochschule Burg Giebichenstein.

Gratulation zu diesem Preis und danke, Claudia, für Deine Gastfreundschaft, die uns in diesen wunderbar hergerichteten Räumen mit so viel Geschichte zuteil wird.

An den Wänden ringsum erregen Bilder in expressiven, kräftigen Farbtönen unsere Aufmerksamkeit. Der Autor ist Thomas Grubert, Architektenkollege aus dem bayerischen Penzberg, der uns hier mit seiner zweiten Profession, der Malerei begegnet. Dass Thomas Grubert und Claudia Cappeller und wir alle 2023 in Halle bei einer Vernissage zusammenkommen ist eine jener Geschichten, die eine friedliche Revolution 1989/90 und die folgende Wiedervereinigung in Deutschland möglich gemacht hat. An solche befreienden historischen Momente darf man in Zeiten der Entzweiung in Deutschland und eines Krieges in Europa durchaus einmal erinnern.

Jetzt aber zur Einführung, um die mich Thomas Grubert, den ich seit diesen verrückten 1990er Jahren kenne, gebeten hat. Da ich nur ein einfacher Architekt bin erwarten Sie bitte keine professionelle Kunstkritik. Vielmehr will ich versuchen, Ihnen die Malerei und seinen Autor mit Fragen und Antworten aus Gesprächen, mit Impressionen und Einfällen beim Betrachten der Bilder näher zu bringen.

WER IST THOMAS GRUBERT?

Thomas Grubert ist: gebürtiger Münchener – in Penzberg wohnender Kosmopolit – gelernter Schreiner – Zeichner – Architekt – Maler – Freizeitgärtner und -koch – Bayernfan – Jazzfreund – Cineast – Gourmet – Geschichtenerzähler – BDA-Kollege – Freund – Mensch.

Familiäre Wurzeln reichen bis nach Sumatra, wo der Vater geboren wurde, der Großvater Verwalter einer kolonialen Tabakplantage war. In fast allen Erdteilen war Thomas Grubert mit dem Skizzenblock unterwegs. Malen und Zeichnen wurden schon früh, in der Schule, seine Profession, lange vor der des Architekten – Profession und Obsession zugleich.

Wenn ihn etwas interessiert und schließlich packt, dann will, dann muss er es auch malerisch verarbeiten. Thomas Grubert wird dabei zum Serien-Täter:

Die vergessenen Städte – Lotosblüten – Sud/ Marrakech – Fish & Ships -Familienaufstellung (wo er wie Richter die Fotos der Vorfahren erkundet) – Mond und andere Farben.

Wir sehen an mauersichtig-rauhen und an glatt-weißen Wänden: grüne Zwillinge, rote Drillinge, ein Quintett u.v.m.

WAS TREIBT THOMAS GRUBERT AN UND UM?

Im Gegensatz zur baugebundenen Architektur mit ihren Vorschriften und Grenzen ist Malerei für Thomas Grubert Freiheit. Einzige Begrenzung: der Rand des Blattes, des Keilrahmens.

Er schöpft aus Orten, Stimmungen, Geschichten, aus der Kunstgeschichte, ohne sie vordergründig zu kopieren. Zu seinen Vorbildern zählen Piranesi, Egon Schiele, Johannes Itten, Paul Klee, der Blaue Reiter, Francois Schuiten, Cy Twombly, Anselm Kiefer, Jean Michel Basquiat, Maria Lassnig.

In fünf Jahrzehnten hat er seinen eigenen Stil entwickelt, bei dem die Vorbilder nur noch gelegentlich durchscheinen, vage Erinnerung sind.

Und das ist auch sein großes Thema: Erinnern, Malen, Anmalen gegen das Vergessen, Schichten übereinander legen, Ausschnitte wieder freilegen, Geschichten erzählen.

Er trägt dabei buchstäblich auf: erst die Farbe, die Formen in der Fläche, dann die Linien, die abgrenzen, verbinden, befreien.

Es entstehen Perspektiven, die nicht nach der klassischen Perspektivlehre konstruiert sind (und den Architekten verraten), die nicht stimmen und dennoch Räume im Bild schaffen – Alles entsteht im Kopf.

Buchstaben kommen dazu, die als Worte, als Namen etwas bedeuten, die mal rückwärts geschrieben sind, die man kopfüber lesen muss und die das erfasste Bild noch einmal umdeuten.

Was heißt hier ALLE AN DER ELLA oder NEUSTADT – die Ahnung einer kommenden Ausstellung in der Saalestadt?

Was treibt der SCHÄFER, oder ist es der Schläfer? Geht es um die gewisse Stunde oder um die letzte? Oder geht einfach nur einer im Hirtenmantel, das Schaf an der Seite, vom Land in die Stadt? Formspiele und Wortspiele – Robert Gernhardt ist plötzlich im Kopf und verlangt noch ein Glas.

Was heißt hier DICKE BACKE, wenn kubistisch verfremdet ein Frauenakt fleischfarben uns kopfüber entgegen kippt?

Und warum immer wieder NEBEL? Liest man es rückwärts wird es zum LEBEN.

Thomas Grubert geht es beim Malen um Emotionen, um die Gefühlsebene.

Dabei sagt er: Malen ist etwas ganz Intimes und:

Malen ist wie Komponieren, die Farben verhalten sich wie Noten.

In seinen Bildern finden wir Harmonie und Disharmonie, Verbundenheit und Opposition, Gleichgewicht und Ungleichgewicht. Es geht ruhig zu und wild, laut und leise, scharf und unscharf, immer aber intensiv.

Es ist: Freude an der Gestaltung.

Am Ende wird für ihn das Bild wie es ist, eine Reise ohne Reiseführer, nur den Farben, Formen, Erinnerungen, Assoziationen folgend.

Bilder, die man nie ganz entschlüsselt, die man immer wieder ansehen kann und muss, weil man immer noch etwas übersehen oder vergessen hat, zu entdecken.

Wenn Sie bald selbst diese Bilder betrachten, probieren Sie nach dem ersten Augen-Blick, der ersten Kontaktaufnahme mit dem Bild ein Sehtraining: Schalten Sie einen Filter ein und betrachten sie einmal nur die Farben, nur die Flächen, nur die Linien.

Man sieht nur, was man weiß – sagt Goethe.

Bei Thomas Grubert meint man mehr zu sehen als man weiß.

WAS ENTSTEHT, WAS BLEIBT UND: WIE WEITER?

Wenn das, was Thomas Grubert beim Malen seiner Bilder erlebt auch uns als Betrachter anspricht, Gefühle auslöst, Sympathie oder Abwehr hervorruft, dann ist eine neue Ebene erreicht, auf die er als Maler keinen Zugriff mehr hat und haben will.

Selbst sagt er, dass er nichts bedienen will, keinen Stil und schon gar keine Mode, nur beliebig oder gar Belang-los will er mit seinem Malen nicht sein.

Wenn hingegen in unserer Interaktion mit den Bildern die Maler-Freude in eine Freude bei den Betrachtern verwandelt wird und beglückende Momente des Sehens eintreten, dann fällt dieses Glück auch auf den zurück, der es geschaffen hat.

Glück ist, wenn einem etwas einfällt – hat Wilhelm Genazino einmal geschrieben.

Thomas, Dir fällt ziemlich viel ein – insofern müssen wir uns Dich als einen immer wieder glücklichen Homo faber vorstellen.

Lassen wir uns auf jetzt auf Deine Sinfonien der Farben, Formen, Linien und Zeichen ein,

lassen wir manche Fragen einfach unbeantwortet stehen, sie stellen sich morgen schon anders. Staunen wir einfach, wundern wir uns, geben wir uns dem Farben-Rausch hin – vielen Dank und viel Vergnügen!

Matthias Dreßler

Architekt BDA