MORITZ HOLFELDER

Rede zur Vernissage der Ausstellung am 05.03.2023 in der Seeresidenz „Alte Post“ in Seeshaupt, 17 Uhr

AUSSTELLUNGSERÖFFNUNG: Thomas Grubert – Vergessene Städte

Sonntag, 5.3.2023, 17 Uhr

Sehr verehrte Damen und Herren,

lieber Thomas Grubert!

Mit einem großen besessenen verwunschenen und manchmal auch wie verhexten Hang zur Fröhlichkeit sind diese Bilder wohl entstanden – eben farbenfroh und farbenfröhlich, und alle so skizziert und gezeichnet und gemalt, dass man sie so schnell nicht mehr vergessen mag. Vergessen kann. Allein schon die Titel verblüffen und beschäftigen einen & eine:

Sultami

KarawanserEi

Wanderstein

Hundling

Pusteburg

Venozaroh

Wal

Überhang

Aquamarina

Roserose

Auch das Yellow Submarine der Beatles ist bei Thomas Grubert eine irgendwie vergessene Stadt, eine Unterwasserstadt, eine, die wir nur schwimmend erreichen. Also – Luft holen, und los.

So we sailed on to the sun

‚Til we found a sea of green

And we lived beneath the waves

In our yellow submarine

So fuhren wir in Richtung Sonne

Bis wir fanden ein Meer voller Grün

Und unter den Wellen lebten wir

In unserem U-Boot gar so gelb

Ja, so ist es …

In der Stadt, in der ich geboren wurde

Lebte ein Mann, der war zur See gefahren

Und erzählte uns von seinem Leben

Im Unterwasserland der Boote

In the town where I was born

Lived a man who sailed to sea

And he told us of his life

In the land of submarines

Wir alle leben immer wieder im gelben Unterseeboot, wenn die Welt zu grau und eintönig erscheint, in einem gelben Unterseeboot, gelben Unterseeboot, auch Thomas Grubert lebt und malt immer wieder in einem Unterseeboot, gelben Unterseeboot – und seine Phantasie lässt ihn abtauchen in vergessene Städte, oder erfundene Städte, die nie mehr vergessen werden wollen, weil sie so außergewöhnlich erfunden sind und von so außergewöhnlichen Menschen bewohnt werden, wie man sich das gar nicht vorstellen kann und mag und ab heute aber doch, nämlich vor diesen Bildern von Thomas Grubert stehend. Vorstellen muss, vorstellen darf. Das Unvorstellbare ist Bild geworden, die Stadt der Rosenforscherinnen und Rosenforscher, das Reich der Meeresforscherinnen und Meeresforscher, mal ein Traum in Rosa, und mal ein Abtauchen ins Blau und Grün, durch das eben blubbernd das Yellow Submarine submariniert.

As we live a life of ease (a life of ease)

Every one of us (every one of us)

Has all we need (has all we need)

Sky of blue (sky of blue)

And sea of green (sea of green)

Grün und Blau und Rot – das vor allem sind die Farben dieser Grubert’schen Städte, die statt Wappen Farbexplosionen gebären …

So führen wir ein ganz entspanntes Dasein

Jeder von uns (jeder von uns)

Hat alles, was er braucht (alles, was er braucht)

Den Himmel blau (den Himmel blau)

Und grün das Meer (und grün das Meer)

In our yellow submarine (Unterseeboot, hahahaha!)

Man kann sich diesen farbexplosiven Bildern nur so direkt nähern, den Faden und den Weg durch diese Städte einfach aufnehmend, so wie ehedem Theseus den Ariadnefaden auf dem Weg durch das Labyrinth, in dem sich der wilde Minotauros befand, aufnahm.

Jede Stadt ein Labyrinth, jedes Labyrinth eine Stadt – und Thomas Grubert zeichnet und malt nicht nur, nein, er schreibt auch rein in seine Bilder, Namen und Sprüche, Wörter und Zahlen, und lässt uns nicht nur Rätseln im Schauen, sondern gibt uns Schauenden lesend auch Hinweise, was wir sehen, sehen könnten, sehen müssten.

Da ist etwa die Geschichte von Horaz, ja, diesem Horaz: eigentlich Quintus Horatius Flaccus, neben Vergil, Properz, Tibull und Ovid einer der bedeutendsten Dichter der Augusteischen Zeit, als Rom noch Rom war.

Wir begegnen jenem Horaz in Venozaroh – und stellen uns jetzt auf den Kopf oder werden verrückt und fangen an, von hinten zu lesen: Venozaroh ergibt horazoneV. Keine Frage, in dem Bild ist Horaz drin und dran und drauf, drunter und drüber – und jetzt kommt’s, wird‘s noch besser, das Beste nämlich: geboren ist dieser Horaz am 8. Dezember 65 v. Christus. Zeiten vermischen sich. Hier und dort wohnt später Horaz. In Venusia. Einer italienischen Stadt, heute heißt sie Venosa. In Süditalien. Eine Stadt hinter und unter der Stadt. Ein Horaz’sches Refugium. Eine Phantasie und doch Realität. Venozaroh: horazoneV.

„Und warum mache ich den ganzen Schmarren?“, fragt der Künstler mich, um dann natürlich selbst die Antwort zu geben: „Weil, weil – wir haben jetzt das Jahr 2023. Und jetzt wird’s spooky: Der (der Horaz) ist genau auf den Tag 2023 Jahre älter als ich. Und dann, okay, dachte ich – dann mache ich diese Stadt.“

Venozaroh!

Spooky ist nicht nur die Zahlenmystik, spooky ist auch der Künstler, der ja im Neben- oder Hauptberuf auch Architekt ist (wann hat er nur die Zeit, diese vielen Bilder zu malen) und nicht anders kann, als diesen vergessenen Städten nachzuspüren, diesen Traumresten und Tagesüberschüssen, jenen, die es nie gab und irgendwie doch – und vermutlich wird es noch Jahre dauern, bis sie alle dechiffriert sind, diese Bilder und Städte. Bis alle Zahlenmystiker sie entschlüsselt haben. Für die spooky Städteforscher gibt es viel zu entdecken – Schiffe und Submarines, Häfen und Molen, Pflanzen und Blüten, Tiere und Fische (und ja auch mal ein Kamel), und natürlich Häuser und Häuser und Häuser und Häuser – Häuser, die dem Gesetz der Perspektive nicht

entsprechen wollen, die sich farbexaltiert und liniengekrümmt wiedersetzen – und doch finden wir Betrachterinnen und Betrachter immer wieder diesen Ariadnefaden, den Fluchtpunkt, der plötzlich auftaucht und uns herausführt aus diesen Bildern, bevor wir wieder erneut in ihnen versinken. Der Architekt bricht und schleift und knickt und splittert und zergliedert alles, auf was er sonst so achten muss in seinem auf Präzision geeichten Beruf, die wahre Freude ist es, die Anarchie, die kreative Spookyness, die alles erlaubt und nichts verbietet.

Auch eine Stadt für Hunde gibt es, Hundilein, und sie schaut aus wie Marrakesch, gibt es eigentlich auch Katzilein, und da ist ein „Berber mit Esel in Gasse“, eingezwängt zwischen den Häusern, und auf einem Haus steht „Noch ein Hund“, und irgendwie muss ich an das Gedicht von Ernst Jandl denken, „Ottos Mops kotzt“ – und „Noch ein Hund“.

Das alles ist Informel, informelle Kunst, eine künstlerische Haltung, die das klassische Form- und Kompositionsprinzip ablehnt und ebenso die geometrische Abstraktion, die, wie eben bei Thomas Grubert, alles und nichts ist, ein Durcheinander, und doch irgendwie einem wilden Prinzip der Formwerdung folgt, in der scheinbaren Formlosigkeit doch Form entdeckt mit Farbspannungsbögen und dann formfolgenden Linien und der abschlüsslichen Befreiung von allen Grenzen.

Die Vergessenen Städte sind stadtplanerisch total offen, jede Betrachterin und jeder Betrachter wird andere Wege entdecken, andere Pfade gehen und den intuitiven Gefühlskompositionen des Künstlers nachstöbern oder sich vielleicht sogar verirrt und verwirrt fühlen. Verloren in diesen Labyrinthen, den urbanen Ariadnefaden nicht sehend oder sehen wollend.

Sei stad, heißt es im Bayrischen, gib Ruhe, sei still – und stad ist verwandt mit stet und stet steht für standhaft und dauernd und natürlich ist da auch die Stadt mit drin in stet und stad.

Ich kann Ihnen allen also nur zurufen: SEID STADT mit und in diesen Bildern, seid Stadt in all den Meeren voller Grün und den Himmeln voller Blau und den U-Booten voller yellow und den Gassen voller Hundileins und auch mal einem Esel.

Ich bin jetzt stad, ganz Stadt,

und danke Ihnen fürs Zuhören

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Artikel SZ vom 7.3.2023 von Katja Sebald:

Wunderwelt der Merkwürdigkeiten